"Lob der Oberflächlichkeit", 2000, University of Applied Sciences Bielefeld, Foyer Fachbereich Design, Wandinstallation aus Toastscheiben
Die abstrakten digitalen Pixel technischer Bilder werden durch konkrete Gegenstände, analoge Toastbrotscheiben ersetzt. Ich nenne die Pixel fortan Calculi. Jede Toastbrotscheibe repräsentiert im Maßstab 1:1 einen Calculi (=Pixel) eines digitalen Bildes.
Die digitalen Farbbilder wurden mittels Bildbearbeitungscomputer in Schwarzweißbilder umgewandelt. Die Graustufen wurden auf vier Abstufungen (Tonwerte) reduziert. Die Tonwerte des vorgegeben schwarz/weißen Digitalbildes wurden durch unterschiedliche Bräunung der Toastbrotscheiben in vier gleichmäßigen Bräunungsgraden reproduziert. Das digitale Bild wurde durch dieses Verfahren identisch und maßstabsgerecht in ein analoges Medium (Toast-Bild) übersetzt.
Bilderspiel
Die Arbeit ist eine Apparatekritik, weil Apparate1 für Zwecke benutzt werden, für die sie nicht programmiert sind. Sie stellt einen Versuch dar, durch Bilder einen Teil der von Bildern verstellten Welt wieder freizuräumen, neue Blickwinkel auf die Welt der Bilder und von der Welt der Bilder zurück auf die abgebildete Welt, der Welt da draußen, zu eröffnen. Sie ist ein Spiel mit Bildern, mit Standpunkten, von denen aus Bilder wahrgenommen werden, mit Oberflächen, die Bilder bilden und doch die Welt da draußen bedeuten sollen.
Dinge bezwecken etwas, das nicht ihr Zweck ist. Das gibt ihnen einen neuen Sinn. Gewöhnliches bezweckt Ungewöhnliches. So bekommt das Gewöhnliche einen ungewöhnlichen Reiz. Nicht begreifbare Oberflächen werden entlarvt, ihre Strukturen aufgezeigt und begreifbar gemacht.
Oberflächlich
Die Arbeit ist oberflächlich, weil sie reflektiert, wie das Abbild des Menschen zu Oberflächen reduziert wird. Diese Oberflächen sind Täuschungen. Es wird die Funktionsweise dieser Täuschungen anhand ihrer Oberflächlichkeit entschlüsselt. Oberflächen können auch schön sein, verblenden. Was sich unter der Oberfläche verbirgt, wird oft vergessen. Oberflächen könne häßliche Dinge mit einem schönen Schein versehen. Tragischer wäre das Gegenteil, wenn wahrhaft Schönes unter einer häßlichen Oberfläche verborgen bleiben muß, weil es deshalb niemand beachtet, niemandem auffällt, oder sich niemand die Mühe macht den Vorhang des Ästhetischen herunterzureißen.
Apparatekritik
Ich überliste Apparate, um sie besser zu verstehen, um ihre Wirkungsweise gegen sich selbst zu richten und um ihre Bedeutung zu hinterfragen. Toaster, Backöfen oder im Internet verwobene Computer spielen in meiner Arbeit eine Rolle, die sie sonst nicht spielen dürften, weil sie nicht dafür programmiert sind. Ich spiele mit Ihnen. Das hat Vilém Flusser in seinem Werk „Für eine Philosophie der Photografi e“ gefordert. Ich folge diesem Rat intuitiv, indem ich kreativ handle. Freiwillig mache ich mich zum Sklaven meiner Apparate. Ich bin fasziniert von ihren vielen Kabel, die sich hinter meinen Maschinen verwirren und deren Verwirrungen sich in meinem Kopf fortsetzen. Ich bin ein lustvolles Opfer der Technik. Technik begeistert, wenn sie funktioniert. Doch Kommunikation mit seelenlosen Apparaten und den sie steuernden Programmen langweilt mich. Dennoch ist diese Kommunikation überlebensnotwendig um das Funktionieren des toten Gerätes am Leben zu halten und sich damit selbst am Leben zu halten.
Der Preis dafür ist hoch. Lebenszeit wird durch die endlosen Kabel abgesaugt, ohne daß man weiß, wo sie bleibt. Keine Erinnerungen gelebt zu haben, in der Zeit hinter den blauen Schirmen. Nur scheinbares Wissen gesammelt, kurzlebiges Wissen, das von der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts stets überholt wird.
Ich habe die Sprache der Bildmaschinen zu verstehen gelernt. Sie übersetzen das Bild der Welt in Pixel. Diese digitalen Oberfl ächen konnte ich packen und den Apparaten entreißen. Ich ersetzte sie durch Gegenstände, die jedem vertraut sind. Mit diesen Alltagsdingen baute ich einen Ausschnitt aus der Bilderwelt der Apparate nach und durchbrach so ihre kalte Technokratie. Dem Digitalen wurde künstlich (oder künstlerisch?) Leben eingehaucht.
In der Hitze des Backofens begegneten sich digitale Bildwelt und traditionelle Fotografie. Toastbrote wurden belichtet und so zu digitalen Bildpixeln umfunktioniert. Dieses Zusammentreffen war nicht programmiert aber unvermeidbar.
Realitätsverlust
Die technischen Bilder verstellen den Blick auf die Welt. Sie reduzieren die begriffl iche Welt der Dinge da draußen auf nulldimensionale Oberfl ächen: Pixel. Diese Flächen sind nicht begreifbar, weil nicht erfühlbar, nicht mit allen menschlichen Sinnen erfahrbar. Technische Bilder abstrahieren die Welt und täuschen Realität vor. Das führt zu einer Entfremdung von der Welt, da man glaubt, in den technischen Bildern die wirkliche Welt vor Augen zu haben. Diese Täuschung führt zu Realitätsverlust.
Kinder, die nie Kühe auf einer Weide beobachtet, sie als lebendige Wesen begriffen, ihren Geruch geatmet, ihr Schnaufen gehört haben, sondern sie nur auf Bildern gesehen haben, können diese nicht erkennen. Zum Erkennen, gehört das sinnliche Empfinden, welches die technischen Bilder als täuschend abstrahierende Realitäts-Duplikate nicht bieten können. Bilder werden überbewertet, auf der Suche nach Erkenntnis, wenn man ihnen bedingungslos glaubt.
Diese Diskrepanz nimmt er in der modernen Informations- und Mediengesellschaft zu. Wir glauben, Dinge zu erkennen, obwohl wir sie nicht einmal begriffen haben. Pixel, also Flächen desinformieren, stiften Verwirrung in der Realitätswahrnehmung.
Durch die künstlerische Entscheidung, Pixel durch begreifbare Gegenstände zu ersetzen, wird dieser irritierende Charakter der technischen Bilder offengelegt. Das Bild rückt ein Stück in die Welt da draußen vor, indem es sich ihr in seiner materialistischen Beschaffenheit nähert und ihm eine verlorengegangene Dimension zurückgegeben wird. Das geschieht künstlerisch, also symbolisch. Eine konsequente Hinwendung in die dingliche Welt ist nicht weiter möglich, da es ansonsten sein Wesen als technisches Bild verlieren würde. Die Nicht-Dinglichkeit digitaler Bilder wird zunächst überwunden.